November 2012
Die Familie von Abaduddin, dem Kalascha-Hirten, den die Taliban ermordet haben (XV. Kapitel) hat endlich etwas zu feiern: Sein jüngerer Bruder Abad Khan heiratet. "Meine Mutter war so verzweifelt über Abaduddins Tod, dass ich dachte, die Hochzeit würde ihr eine Freude machen", sagt Abad Khan (19). Beim Herbst-Fest sprach er ein Mädchen an, das ihm schon länger gefiel. "Ich habe ihr erzählt, dass ich unserer Familie nach dem Taliban-Angriff Mut machen will und ob sie nicht heiraten wolle. Sie war sofort dafür. Also sind wir zu meiner Familie gegangen und haben es ihnen gesagt."
Mit dieser kurzen Mitteilung an Mutter und Vater ist eine Ehe bei den Kalascha besiegelt. Junge Männer und Frauen können frei entscheiden, mit wem sie eine Beziehung eingehen. Eine verheiratete Frau kann sich jederzeit von ihrem Mann trennen. Doch wenn sie einen anderen Mann heiraten, dann muss dieser an seinen Vorgänger das Doppelte des Brautpreises zahlen, den dieser einst entrichtete. Denn das, was dem Eheversprechen folgt, ist ein kompliziertes, monatelanges Ritual des Austausches von Geschenken zwischen beiden Familien, in dessen Verlauf Braut und Bräutigam abwechselnd in dem einen oder dem anderen Haushalt leben.
Abad Khan ist zwar noch mitten in diesem Prozess, doch seine Familie hat ihm und seiner Frau schon das Gästezimmer überlassen. Das ist ziemlich ungewöhnlich und macht ihn sehr stolz. Und die Regierung hat ihm einen Job bei der Polizei verschafft, als Entschädigung für den Tod seines Bruders. Das mag seltsam wirken, aber Fachleute für Kultur und Gesellschaft der Stammesgebiete hatten den Behörden zu dieser Regelung geraten.
